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Halle an der Saale – Stadt der Moderne




Vortrag zum Tag des offenen Denkmals im Wasserturm Süd am Sonntag, dem 08.09.2019

Max Sauerlandt, 1908–1919 Direktor des städtischen Museums in der Moritzburg, der die Sammlung der Moderne begründete, schrieb 1930 in Erinnerung an Halle:
„Wirklich, ich wüsste keine andere Stadt zu nennen, die durch alle Jahrhunderte als ihr Besonderes eine solche Fähigkeit zur Selbstumgestaltung, zur beständigen Metamorphose bewiesen hätte, ohne sich selbst dabei aufzugeben.“
Diese Einschätzung trifft nicht zuletzt auf die Stadt der Moderne in den zwanziger Jahren und das Motto des heutigen Tages des offenen Denkmals zu: Umbrüche in Kunst und Architektur ja, aber ohne dem Geist und den Formen des Radikalismus zu huldigen, ohne die Spuren der Geschichte und Tradition zu tilgen und damit der Stadt ihr gewachsenes Erscheinungsbild und ihren besonderen, einmaligen Charakter zu nehmen.

Halle blieb nach der Erfolgsgeschichte seiner Entwicklung bis zum I. Weltkrieg auch in den zwanziger Jahren eine aufstrebende Stadt als Industrie-, Wirtschafts-, Verkehrs- und Handelszentrum der Provinz Sachsen und des mitteldeutschen Industriegebietes. Die Wirtschaft wurde beherrscht durch die Entwicklung der chemischen Industrie in der Gegend um Halle-Merseburg, wobei das 1916 gegründete Leuna-Werk mit seiner ganzen Produktionspalette zum dominierenden Unternehmen der Region aufstieg. Entsprechend hielt das Bevölkerungswachstum an, verstärkt durch die Rolle Halles als Pendlerstadt, als Wohnort für die Arbeiter und Angestellten von Industriebetrieben in der Stadt und im Umland. Von 187.585 im Jahr 1920 wuchs die Einwohnerzahl auf 202.102 im Jahr 1928. In der Städtekonkurrenz vor allem mit Leipzig und Magdeburg um die zentrale Position im mitteldeutschen industriellen Ballungsgebiet versuchte die Stadtverwaltung Halles im Kontext mit wirtschaftlichen, sozialpolitischen und kulturellen Initiativen eine zukunftsorientierte Stadtentwicklung zu gewährleisten und das Bild eines aufgeschlossenen, modernen Gemeinwesens zu vermitteln.

Die Sorge um die Zukunftsfähigkeit der Stadt umfasste nicht nur konkrete, realisierbare Projekte, sondern natürlich auch visionäre Ideen und utopische Planungen, die nicht oder nur in Bruchstücken verwirklicht werden konnten. Der enorme Aufschwung des Personen- und Güterverkehrs führte zu

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Abb.01

infrastrukturellen Großprojekten, die als Symbole des Aufbruchs, der Modernität und Mobilität galten: Verlegung und Ausbau des Bahnhofs, Anschluss an den Südflügel des Mittellandkanals und Ausbau des Trothaer Hafens, Planung einer sogenannten „Kraftwagenbahn“, also einer Art Autobahn, zwischen Leipzig und Halle und schließlich das Projekt des Großflughafens Halle-Leipzig bei Schkeuditz auf damals preußischem Territorium. Auch dort gedieh nicht alles zum Besten. Sachsen und Leipzig legten sich quer. Dennoch entwickelte sich der Flughafen in kürzester Zeit zum größten Deutschlands und erlangte auch bald eine gewisse Bedeutung im internationalen Flugverkehr. Mit der Gesamtplanung beauftragte man den Direktor der halleschen Kunstgewerbeschule Paul Thiersch. Als erster Bauabschnitt entstand nach seinem Entwurf 1926/27 eine riesige Flugzeughalle. Nach Thierschs Weggang und Tod übernahm der ehemalige Bauhäusler Hans Wittwer den Auftrag. 1929–1931 erarbeitete er ein neues Projekt in mehreren Versionen. Verwirklicht wurde unter intensiver Mitwirkung verschiedener Werkstätten der Burg Giebichenstein 1930/31 das Flughafenrestaurant. Kragstützen und völlige Verglasung vermitteln in ihrer Transparenz und Schwerelosigkeit die Assoziation des Fliegens. Der heute verschwundene Bau zählt – durchaus gleichberechtigt neben dem Bauhausgebäude in Dessau – zu den Ikonen der modernen Architektur.

Halles Ehrgeiz, gleich Leipzig und Magdeburg den Status einer Kongress- und Tagungsstadt zu erlangen, scheiterte an den fehlenden baulich-räumlichen Voraussetzungen. So gab es seit 1920 immer wieder einmal Anläufe, auf verschiedenen Bauplätzen eine Stadthalle für Tagungen und Konzerte zu planen. Den Höhepunkt bildete der hochkarätige Wettbewerb von 1927, der darauf abzielte, unter erweitertem Bauprogramm auf Lehmanns Felsen ein Bauensemble mit Stadthalle, Museum und Sportanlagen zu errichten. Neben Peter Behrens, Paul Bonatz, Emil Fahrenkamp, Wilhelm Kreis und Hans Poelzig beteiligte sich das Dessauer Büro von Walter Gropius mit einem konsequenten Entwurf im Sinne des Neuen Bauens, der jedoch wie all die anderen im Zeichen der heraufziehenden Weltwirtschaftskrise keine Aussicht auf Ausführung hatte, ja nicht einmal prämiert wurde.

Natürlich gehörte auch die durch Paul Thiersch empfohlene Radikallösung, die hallesche Altstadt mit einem Kranz amerikanischer Wolkenkratzer, die damals sehr in der Diskussion standen, einzukesseln, ebenso in das Genre realitätsferner Architekturfantasien wie der Vorschlag von Martin Knauthe aus dem Jahr 1927, mit Ausnahme der Marienkirche und des Roten Turmes die gesamte historische Marktplatzbebauung abzureißen und durch Neubauten im Charakter des Neuen Bauens zu ersetzen.

Als Kriterium der Modernität gilt im Allgemeinen die mit Städtebau und Architektur erreichte Effizienz in der Erfüllung sozialpolitischer Bedürfnisse und Ansprüche. Aus diesem Blickwinkel betrachtet war Halle in den zwanziger Jahren eine äußerst moderne Stadt. Im Fokus standen zuallererst die Stadtentwicklung und Stadterweiterung, die Frei- und Grünflächenplanung, Stadttechnik und Verkehr sowie der soziale, d. h. staatlich, kommunal bzw. genossenschaftlich geförderte Wohnungsbau, gefolgt von Wirtschaft und Handel, Wohlfahrt und Fürsorge, Kultur und Bildung.

Es ging damals schon um die Kanalisierung der Saale, um die Überschwemmungsgebiete im Westen als Flächen für den Wohnungsbau zu gewinnen und durch die Straßenbahn verkehrstechnisch zu erschließen. In diesem Zusammenhang spielte der Neubau der eleganten Giebichensteinbrücke nach dem Entwurf von Clemens Vaccano und unter Mitwirkung von Paul Thiersch und dem Bildhauer Gerhard Marcks 1926–1928 eine wichtige Rolle (Abb. 01).Eine belastbare Verkehrsinfrastruktur umfasste für den explosiv sich entwickelnden Automobilverkehr die Bereitstellung von Sekundärarchitektur, also Tankstellen, Werkstätten und Garagen für den „ruhenden Verkehr“. Garagen und Tankstellen galten als Großstadtsymbole und standen für Moderne und Fortschritt. Die von Martin Knauthe und Alfred Gellhorn entworfene Olex-Tankstelle wurde damals als zu modernistisch nicht ausgeführt. Dafür hat sich als einmaliges Zeugnis

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Abb.02a

die Großgarage des Bauunternehmers Walter Tutenberg von 1927–1929 in der Pfännerhöhe/Ecke Liebenauer Straße bis heute erhalten (Abb. 02a, 02b). Neben der Versorgung mit Fernwärme und Wasser, Zeugnis dafür ist der Wasserturm Süd von 1927/28 (Abb. 03a, 03b), musste der wachsende Bedarf an Elektrizität gesichert werden. Nach dem Entwurf von Wilhelm Jost im Hochbauamt der Stadt entstand in Trotha 1924–1926 ein neues Kohlekraftwerk in roter Klinkerbauweise. Für die Versorgung der Stadt mit Strom errichtete Jost über das ganze Stadtgebiet verteilt in der Art einer Stadtmöblierung Verteiler-, Umspann- und Umformstationen,

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Abb.02b

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Abb.03a

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Abb.03b

häufig ergänzt durch verschiedene andere Funktionen.Die Formgebung passte er dem Standort an: am Hallmarkt für den Unterbau der Westtürme der Marktkirche in einer romanisierenden Stilisierung (Abb. 04), am Universitätsring in der Kombination mit

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Abb.04

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Abb.05

Kiosk und Bedürfnisanstalt in einer natursteinverkleideten modernen Bauform (Abb. 05), in den meisten Fällen jedoch als Klinkerverblendbau unter Nutzung der Ziegelform und -farbe für eine expressionistische Ornamentierung (Abb. 06a, 06b).

In seiner Schrift „Städtische Bauweise und Baupolizeiordnung“ von 1917 hatte Stadtbaurat Wilhelm Jost Prinzipien der Stadterweiterungsplanung formuliert, die er künstlerischen

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Abb.06a

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Abb.06b

Gesichtspunkten unterordnete. Der Gesamtsiedlungsplan und die neue Bauordnung aus dem Jahr 1927 vertraten das Leitbild der aufgelockerten Stadt, der Dezentralisierung und Funktionstrennung sowie der Vermischung mit Grünflächen. Die katastrophale Wohnungsnot stellte eine riesige Herausforderung für den sozialen Massenwohnungsbau dar, der in Halle hauptsächlich von gemeinnützigen Baugenossenschaften und -vereinen getragen wurde. Man setzte überwiegend auf traditionelle Lösungen „als Gewähr einer Stabilisierung des Bürgerlichen“, wie es Jost ausdrückte, verschloss sich aber auch nicht einer moderneren Formensprache, wie es die 1930/31 im Auftrag der Kleinwohnungsbau Halle AG von Heinrich

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Abb.07a

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Abb.07b

Faller errichtete Siedlung „Vogelweide“ belegt (Abb. 07a, 07b).

In geringerem Umfang entstanden im Auftrag von Privatpersonen Ein- und Zweifamilienhäuser im Duktus des Neuen Bauens, unter denen die Eigenhäuser der Architekten eine besondere Aufmerksamkeit verdienen. Ohne Bevormundung und Einmischung fremder Bauherren offenbaren diese die künstlerischen Intentionen der Architekten am eindringlichsten, stellen gleichsam deren erweiterte Haut dar. Als Zeitphänomen gewann das Architekten-Haus seit dem Ende des 19. Jahrhunderts einen wichtigen Stellenwert in der Reformbewegung, wenn wir etwa an Peter Behrens, Joseph Maria Olbrich, Hans Poelzig, Richard Riemerschmid oder Henry van den Velde denken. 1924/25 erbaute sich Wilhelm Ulrich auf dem Ratswerder sein Haus „Sieben Waben“, ein Haus mit einem aus sieben Sechsecken zusammengesetzten Grundriss, um damit seine hexagonale Architekturdoktrin zu demonstrieren. Der ehemalige Lehrer an der Burg Giebichenstein Johannes Niemeyer errichtete sich 1925/26 an der Lettiner Straße sein Eigenhaus, um sich damit künftigen Auftraggebern als Vertreter der Klassischen Moderne zu empfehlen (Abb. 08). Er ging 1928 nach Berlin. Das Haus übernahm der Maler Charles Crodel, in dessen Familienbesitz es sich noch heute befindet.

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Abb.08

Die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begonnene Citybildung setzte sich in den zwanziger Jahren massiv fort. Gemeint ist die Umwandlung des alten Stadtkerns zu einem Ort der Verwaltung, des Handels und Geldverkehrs, der Kultur und Bildung unter Zurückdrängung des Wohnanteils. Die kleinteilige altstädtische Bebauung musste Neubauten in größeren Maßstäben weichen. Von dieser, wie Sie sich denken können, schon damals umstrittenen Baupraxis profitierten vor allem die großen Kaufhäuser und Geschäftsbauten. Am Markt und anderenorts entstanden aus gegebenem Anlass ähnliche Lösungen und Ergebnisse: eine Vergrößerung durch Zusammenlegung mehrerer Parzellen, funktionale Flexibilität, Großflächigkeit und Transparenz. Als Zeugnis modernster Architektur und Kaufkultur entstanden am Markt 1928 das Kaufhaus Huth nach einem Entwurf von Wilhelm Ulrich und Gustav Wolff (1993 abgerissen) und 1929/30 das Kaufhaus Lewin nach einem Entwurf von Bruno Föhre,der bei aller Funktionalität und Sachlichkeit auf eine Ornamentierung im Stil des Art Déco nicht verzichten mochte (Abb. 09). Der den

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Abb.09

Kaufhäusern Schocken in Chemnitz und Stuttgart gleichwertige Entwurf Erich Mendelsohns für das Kaufhaus Brummer & Benjamin in der Großen Ulrichstraße aus dem Jahr 1929 scheiterte in seiner Ausführung an der Weltwirtschaftskrise.

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Abb.10

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Abb.10b

Auf Mendelsohns Stilauffassung verweist in Halle nicht zuletzt das Bürohaus der Spielwaren- und Scherzartikelfirma Sernau in der Forsterstraße, der sogenannte „Forsterhof“ (Abb. 10a, 10b). Martin Knauthe und Alfred Gellhorn lieferten 1921 den Entwurf und leiteten bis 1922 die Bauausführung. Die abgerundeten Gebäudeecken, die ansteigende Giebellinie, der Kontrast von glatten horizontalen Brüstungsbändern und tief eingeschnittenen Fensterreihen lassen den Bau als Beispiel des organischen Expressionismus wie aus einem Guss erscheinen. Natürlich war der Bedarf an Büroräumen in einem regionalen Verwaltungszentrum wie Halle stets groß. Das Rathaus erhielt 1928 -1930 nach einem Entwurf von Wilhelm Jost und Philipp Löhr einen Funktionsbau, den „Ratshof“, damals, als das alte Rathaus noch stand, in Form einer Hinterhofbebauung (Abb. 11a, 11b, 11c). Ungeachtet dessen wurde großer Wert auf eine der städtebaulichen Situation angepasste Gruppierung und Gliederung der Baumassen sowie auf eine Aufwertung der Fassaden durch eine Natursteinverkleidung gelegt.

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Abb.11a.

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Abb.11b

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Abb.11c

Weitere große Verwaltungsbauten betrafen das Arbeitsamt am Steintorplatz, ausgeführt 1929/30 von Wilhelm Jost und Albrecht Langenbach, das als Reichsanstalt in einer weitläufigen Anlage mit Innenhof die Arbeitsvermittlung, die Arbeitslosenversicherung und Berufsberatung aufnahm (Abb. 12), sowie das Gebäude des Krankenkassenverbandes Sachsen-Anhalts in der Falkstraße/Ecke Mozartstraße von 1927/28 und das Gebäude der Allgemeinen Ortskrankenkasse am Robert-Franz-Ring von 1929/30, beide entworfen

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Abb.12

von Martin Knauthe in einer modernen Bauauffassung. Bei dem Verbandsbau handelt es sich um ein kombiniertes Wohn- und Verwaltungsgebäude, das als funktionaler Baukomplex aus zwei gegeneinander versetzten Kuben mit eingeschobener Treppenhausscheibe besteht. Heller Edelputz

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Abb.13

und dunkle Klinkerverblendung schaffen einen starken Kontrast (Abb. 13). Das dreigeschossige A. O. K.-Gebäude umfasst in einer aufgelockerten Anlage einen Verwaltungs- und einen Institutsteil, die beide durch ein Treppenhaus miteinander verbunden sind. Ein Stahlbetonskelett gewährleistet geschwungene, organische Formen und weiche Umrisslinien. Die Verkleidung aus Klinkern und Keramikplatten sorgt für eine lebhafte Farbigkeit (Abb. 14).

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Abb.14

Die steigenden Einwohnerzahlen verlangten vor allem in den südlichen Stadterweiterungsgebieten neue Schulgebäude. Nach einem Entwurf von Stadtbaurat Wilhelm Jost entstand 1928/29 Vor dem Hamstertor, großräumig eingebettet in Grünanlagen, eine Hilfsschule, die Pestalozzischule Abb. (15a, 15b). Als symmetrische Dreiflügelanlage mit Turnhalle und Aula im Mittelpavillon verkörpert sie noch den traditionellen Typ, geschmückt mit köstlichen, kindgerechten Keramikarbeiten des Bildhauers Richard Horn (Abb. 16a, 16b).

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Abb.15a

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Abb.15b

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Abb.16a

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Abb.16b

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Abb.17a

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Abb.17b


Demgegenüber entstand 1929/30 nach dem Entwurf des Mitarbeiters im Stadtbauamt Wolfgang Bornemann, der auch am Flughafenrestaurant Schkeuditz beteiligt war, an der Diesterwegstraße ein Schulgebäude im Stil des Neuen Bauens mit asymmetrisch geordneten, in der Höhe gestaffelten kubischen Baukörpern, mit Flachdach, Fensterbändern und hellen Räumen (Abb. 17a, 17b). Die gesamte Planung sah allerdings noch einen zweiten, sich symmetrisch anschließenden Bauabschnitt vor. Dieser wurde 1938/39 nach einem Anpassungsentwurf von Wilhelm Jost ausgeführt (Abb. 18). Trotz der einheitlichen Planung ist wohl kein größerer Gegensatz denkbar. In musterhafter Gültigkeit zeigt sich in den beiden benachbarten Schulbauten der fundamentale Unterschied zwischen der Klassischen Moderne der zwanziger Jahre und dem

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Abb.18

konservativen, einfältigen „Heimatstil“ des Nationalsozialismus. Hier bietet sich die einmalige Chance, im stilistischen Vergleich die politische Determination von Architektur zu erleben.

Auch der Sakralbau war in seinem Dilemma zwischen Beharren und Aufbruch Teil der Reformbewegung. Dafür spricht die von Wilhelm Ulrich entworfene katholische Pfarr- und Franziskaner-Klosterkirche zur Heiligen Dreieinigkeit im Süden der Stadt (Abb. 19a, 19b). Sie wurde im Anschluss an die Klausurbauten 1929/30 errichtet. Der verputzte Stahlbetonbau bildet im Grundriss ein Dreieck mit abgestumpften Ecken, ein Verweis auf die Dreieinigkeit. Die in drei Raumebenen jeweils um 90° gedrehte dreieckige Grundrissform

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Abb.19a

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Abb.19b

bezieht sich im Inneren auf liturgisch-funktionale Gründe und sorgt am Außenbau für eine interessante, bewegte Gestalt.

An der Entfaltung der modernen Architektur war in Halle eine Vielzahl von Akteuren beteiligt. Stadtbaurat Wilhelm Jost, der von 1912 bis 1939 sein Amt ausübte, nahm natürlich nach wie vor einen prägenden Einfluss auf die Stadtentwicklung und Architektur. Er erarbeitete sich in den zwanziger Jahren einen Zugang zur Moderne, indem er avantgardistische Mitarbeiter wie Wolfgang Bornemann in seinem Stadtbauamt nicht nur duldete, sondern ihnen auch freie Hand ließ. Jost selbst verantwortete Bauten mit einem durchaus funktionalen und technisch-konstruktiven Charakter, die in ihrer Modernität allerdings in der Regel durch eine expressive bzw. repräsentative Materialverwendung und -behandlung gemildert erscheinen. In Konkurrenz um Aufträge der öffentlichen Hand standen zu den beamteten Architekten die freiberuflichen. Sie wurden vor allem im Auftrag privater Bauherren tätig. Daneben wirkten die an der Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein lehrenden Architekten in einem geringen Umfang am Baugeschehen der Stadt mit.

Die Privatarchitekten Martin Knauthe und Alfred Gellhorn, Bruno Föhre, Wilhelm Ulrich und andere, die Burglehrer Paul Thiersch, Johannes Niemeyer und Hans Wittwer und schließlich auswärtige Architekten wie Walter Gropius oder Erich Mendelsohn vertraten die unterschiedlichsten Handschriften und Ausdrucksformen: das expressionistische, hexagonale, sachlich-funktionale und organische Bauen. Sie alle trugen dazu bei, die Moderne nicht in Monotonie und Sterilität erstarren zu lassen, sondern in ihrer Vielfalt zu entdecken und zu entfalten. Sie alle hatten Teil daran, Attraktivität und Renommee Halles zu kräftigen, das Bild einer modernen, lebens- und liebenswerten Stadt mit einer reichen Geschichte, Kultur und Bautradition zu vermitteln. Dieses Bild zu bewahren und in die Zukunft zu tragen, verdient als dauernde Aufgabe unsere Anstrengung.

Text:Prof.Dr.Dieter Dolgner
Fotos:Dr. Angela Dolgner
Datum:08.09.2019


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